»Bergbilder« Bernhard Sprute

Faszinierend, die Bergbilder, die sich dir als Kind vor dem inneren Auge auftun, wenn du von dem Matterhorn, von der Eiger Nordwand, von dem Mont Blanc, Kilimandscharo, Fujijama oder Popocatepetl hörst, sie aber selbst noch nicht vor Ort erlebt hast, von einigen wenigen du höchstens eine schwarz-weiß Abbildung sehen konntest. Das ist jetzt über fünfzig Jahre her. Als Kind nie verreist – der Bauernhof in Lippe bot ja alles.
Die Bergvorstellungen meiner Kindheit, mit all ihren Klischees, versuche ich jetzt heute in Malereien zu verarbeiten.

Das Matterhorn, wie eine Pfeilspitze in den Himmel ragend, grau-braun, in gedämpfter Farbigkeit. Bergblumen, Edelweiß, die Tierwelt, Gemsen, Adler und Geier, Murmeltiere, Alpensalamander. Der Mont Blanc, zwischen Frankreich und Italien, riesig sich dahin streckend, auch im Sommer mit viel Schnee. Ein Füllhalter meines Großvaters hieß auch so. Seine Kappe zeigte einen weißen Stern, als Schneespitze des Berges zu deuten, seine Feder trug die Gravur 4810, ein Hinweis auf die vermessene Höhe des Berges in Metern. Oder die Dolomiten, ich verband sie mit Italien, ich erinnere mich an eine Eisdiele, die Dolomiti hieß. Der Name Langkofel tauchte auf, auch sprach man von einem rotbraunen Berg und einem dunkelroten Himmel bei Sonnenuntergang. An die Zugspitze erinnere ich mich als idyllisches Ferienparadies. Der höchste Berg Deutschlands, in Bayern, der Skiort Garmisch-Partenkirchen. Ein Berg, dessen Spitze man mit der Seilbahn erreichen kann. Umgeben von Wiesen mit Bergblumen, direkt an seinem Fuße typische Bergdörfer. Der Fujijama, das war für mich Japan, der Berg so geheimnisvoll, wie das Land. Andere Tiere, andere Pflanzen: Schlangen, Riesensalamander, Schmetterlinge, die japanische Kirsche, Magnolien, Azaleen, ganz andere Farben. Der Mount Everest im Himalaya, der höchste Berg der Erde, 8848 Meter, Edmund Hillary als Erstbesteiger, China, Nepal, ein heiliger Berg, Himalaya Bergziege, Schneeleopard, Yak, Roter Panda. Auch im Himalaya, der Nanga Parbat, König der Berge oder auch Berg der Bläue genannt, damals für mich eine faszinierende Bezeichnungen. Eine andere Welt, der Kilimandscharo in Afrika. Ein hoher schneebedeckter Berg, ein Gletscher, dies im heißen Afrika, man fuhr dort Ski, das war für mich als Kind kaum vorstellbar. Am Fuße des Kilimandscharo Akazien, Palmen, Orchideen, Flamingos, Pelikane, Zebras, Wasserböcke, Elefanten, Strauße, Tukane und viel mehr.

Ich erinnere mich gerne an diese Kindheitsbilder. Die faszinierende Ebene von damals übernehme ich in die Malerei von heute. Der Verstand des Erwachsenen verlangt heute nach realistischen Fakten unterschiedlicher Quellen, ich erweitere mein Wissen, lasse dieses auch in die Malerei einfließen, spüre aber auch die Gefahr, das Magische der tief in mir steckenden Klischeebilder der Kindheit zu verdrängen.

Zur Bildentstehung:
Vor dem Malprozess steht die Auswahl eines Favoriten aus einer Vielzahl unterschiedlicher fotografischer Bergabbildungen, hiernach das „Festmachen“ des Motivs in einer Zeichnung, als Vorlage für das zu malende Bergmotiv. Danach wird in einer aufwendigen Technik mit Montagekleber, Dispersionsfarbe und farbiger Beize auf der Leinwand ein belebt strukturierter pastoser Bildgrund erstellt. Auf diesen wird darauffolgend Zeichenhaftes, Pflanzliches und Kreatürliches, in mehreren Schichten neben- und übereinander gebracht, das dann, nach einigen längeren Trocknungsprozessen, am Ende flächendeckend monochromfarbig zugedeckt wird. Die Bildmotive werden dadurch in ihrer Fülle dem Auge fast ganz entzogen, erscheinen nur noch fragmentarisch, in Andeutungen, werden durch diese Reduktion wieder frei für neue Bildassoziationen im Bereich der Bergwelt. Der pastos aufgetragene, mit reliefartig erhabenen oder auch tief eingeritzten Formfragmenten versehene Bildgrund wird so zum Gegenstand einer visuellen Suchaktion. Darauf folgt die Darstellung des Berges. Gemalt wird direkt mit der Ölfarbtube und der Montagekleber-Kartusche, das ermöglicht einen plastischen, reliefartigen, Konturen bildenden, sich zum Betrachter hin öffnenden Auftrag. Die teilweise linearen Strukturen des Bergmotivs geben Durchblicke frei und korrespondieren so mit der atmosphärischen Tiefe des Himmelhintergrundes.
Die Tuben- und Kartuschenmalerei erzeugt eine fragmentarisch-organische Wirkung, die dem Motiv Stein, Fels, Berg sehr entspricht. Das „Einfließen“ von farbiger Beize in die saugfähige Dispersionsfarbe verstärkt die atmosphärische Wirkung des Umfeldes.

Die Gegenständlichkeit der als Vorlage benutzten fotografischen Bergabbildung löst sich im Malprozess weitgehend in ein abstraktes Formenrepertoire auf, wird zu einem eigenen System malerischer Landschaftswahrnehmung, obliegt dem Aspekt einer von Emotionalität und Assoziationen geprägten Landschaftssicht.

Bernhard Sprute, Bad Oeynhausen 2013