»Roter Kopf« Rosemarie Sprute

Längst vor der Formel von der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks hat der Maler gewusst, was noch heute von verschiedenen Seiten bedauert wird, dass nämlich der Zweck des Kunstwerks in etwas anderem liegt als in der bloß formellen Nachahmung der Natur. Eine Nachahmung ist hier gemeint, die schon Hegel in seiner Ästhetik-Vorlesung als "technisches Kunststück" entlarvt, das er entschieden vom Kunstwerk abrückt. Eine Nachahmung, deren zugrunde liegender Naturbegriff der gängige ist: gemeint sind in der Regel die von der Natur geschaffenen Erscheinungen, das sinnenfällig Wirkliche, Naturprodukte wie Stein oder Blüte oder Tier. Nach dem flüchtigsten Blick auf das Quadrat "Roter Kopf" ist dem Betrachter klar, dass es sich bei diesem Bild kaum um ein rein artifizielles "Kunststück" im Sinne bloßer veristischer Doppelung handeln kann; es ist nichts Bekanntes, nichts Fertiges, nichts Konkretes verlässlich festzumachen. Und doch: Auch hier geht es dem Maler um eine imitatio, weiter noch: um die imitatio naturae. Nur Gegenstand dieser Mimesis ist ein anderer. Es ist ein Naturbegriff, der erst durch die Romantiker Verbreitung erfahren hat, dessen Wurzeln aber viel weiter zurückreichen. Gezeigt und interpretiert wird auf diesem Bild die Natur als natura naturans; also Natur nicht aufgefasst als etwas Statisches, nicht als etwas Dingfestes, das man etwa sicher im Griff oder Be-Griff hätte. Natur ist hier nicht von Seiten ihres Resultates interessant, sondern ihre wesentliche Seite: Ihr Produktionsvermögen, ihre Tätigkeit wird als die wichtigere dargestellt. Für die Mittel der Malerei gewiss keine geringe Herausforderung. Diese gleichzeitig überall präsente, vielfältige, sich in jedem/allem anders äußernde Dynamik des Naturschaffens zeigt sich im Sichüberlagern vieler bis zur Undurchdringlichkeit verschlungen angelegter Ebenen. Sie zeigt sich im Aufgehen in Vielfarbigkeit, in der wechselnden Intensität einzelner Farben als Ausdruck entsprechender Energien einzelner Bereiche. In wildgewachsener Vielgestaltigkeit ist sie wiederzufinden. Auch in den unvermutet ausgebrochenen Bewegungen, die in alle Richtungen zerstreut sind. In Andeutungen des Ding- bzw. Pflanzenhaften wird auf sie hingewiesen. Im Ganzen genommen erweist sie sich als eine nach genauen Strukturprinzipien angeordnete Fülle, die nur dann chaotische Züge trägt, wenn Einzelheiten jeweils isoliert für sich betrachtet und die Korrespondenzen untereinander nicht erkannt werden. Die Darstellung dieser natura naturans ist eng mit der Darstellung des Menschen verbunden, besonders mit dessen Verhältnis zur schaffenden Natur. Nicht im rechnerischen Zentrum, doch »zentral« am Anfang der Leserichtung des Bildes erscheint der Mensch. Befreit von jeder eitlen Bildnisproblematik ist er reduziert auf ein schemenhaftes Zeichen: auf den Kopf, Anzeige für das Bewusstsein und die Reflexionsfähigkeit, damit Hinweis auf das, was den Menschen zunächst von der Natur zu trennen scheint. Als ein Reflektierender steht er der Natur gegenüber: durch scharfe Konturen abgegrenzt, eigenständig für sich durch Größe, Farbe, Position, Betonung der Stirn. Auf der anderen Seite aber ist er, ja selbst Teil der Natur, gleichzeitig in sie eingefügt. Und dies Moment erscheint als das stärkere: eingetaucht in ihre Farbigkeit, deshalb aber nicht etwa flächig angestrichen, sondern den Pflanzenformen analog lebendig, organisch strukturiert, läßt er die Möglichkeit des Durchdrungenwerdens zu; korrespondierend mit Formen und Farben des Umfeldes erscheint er nicht als etwas Widerständiges, nicht als ein Anderes. Sondern innerhalb straffer Form ungezügelt bewegt, vielschichtig, transparent, spiegelt er, der in Natur aufgehoben ist, deren Prinzipien wider.

Dr. Rosemarie Sprute, Kunstwissenschaftlerin, Bad Oeynhausen 1989