»Weißer Kopf« Rosemarie Sprute

Auf diesem Bild, Teil eines umfangreichen Zyklus, ist der Mensch mit der Natur konfrontiert: Die Natur selbst zeigt sich als scheinbar amorphe Vielheit, wildwachsend, vielgestaltig wuchernd, lebendig bewegt, eben als natura naturans.
Der Mensch, zeichenhaft auf seinen Kopf als Sitz des Bewusstseins und der Reflexionsfähigkeit reduziert, nimmt im Bild den Standort ein, der seinem Stellenwert in der Natur entspricht: Nicht etwa im Mittelpunkt, sondern abseits, nur durch seine verstärkten Konturen überhaupt erst ausmachbar, ist er gleichzeitig in sie eingefügt und von ihr abgesondert. Die Weiße, Anzeige für Reinheit, für ruhige Bereitschaft, von ihr anzunehmen, und die Transparenz, Zeichen seiner Korrespondenz mit den lebendigen, organischen Naturformen, -strukturen und -farben, sind Reflex seines durch die eigene Doppelnatur bedingten dialektischen Verhältnisses zur Natur: Der von der Natur Hervorgebrachte und von seiner sinnlichen Seite her in ihr Aufgehobene ist der ihr Gleichgeartete, der durch Reflexion über sie sich von ihr Distanzierende, ist der ihr Fremde, Andere, der - in ursprünglicher Wortbedeutung - "mystisch"
sie Betrachtende, hier der ihr in ihrer Bewegungsrichtung Folgende.

Dr. Rosemarie Sprute, Kunstwissenschaftlerin, Bad Oeynhausen 1995