»Bernhard Sprute: Geordnetes Chaos« Gespräch Hohenbrink / Sprute für MOMENTE

Mit Bernhard Sprute sprach Heinz Hohenbrink, ehemaliger Leiter der VHS Bad Oeynhausen.

Hohenbrink:
Bernhard, Deine Bilder zeigen sehr oft eine Überfülle von Motiven, Formen, Zeichen. Du sagst immer, das Chaos ist Prinzip, das Chaos birgt Ordnung in sich. Die Bilder tragen Titel wie System, Mustersucher, Querschnitte.

Sprute:
In unübersichtlichen Situationen fangen wir an zu ordnen, zu sortieren, zu selektieren. So veranlasst auch das anfängliche Chaosempfinden beim Betrachten meiner Bilder auf die Suche nach Beziehungen, Zuordnungen oder formalen Ähnlichkeiten zu gehen. Ich gebe in meinen Bildern, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht, nachvollziehbare Ordnungsprinzipien vor.

Hohenbrink:
Auffallend ist, dass Du die Pflanzen- und Tiermotive und Menschen zum Teil sehr vereinfacht, fast schablonenhaft darstellst.

Sprute:
Mein Interesse gilt besonders der Systematisierung einzelner Motive, seien sie aus dem Bereich Pflanze, Tier oder Mensch. Diese Systematisierung zeigt sich im Formalen oft durch eine Formvereinfachung, im Inhaltlichen parallel dazu immer wieder durch eine Verdeutlichung der Korrespondenz zwischen Mensch und Natur. Mein Weg ist Aufzeigen von Strukturzusammenhängen. Es geht mir also in meinen malerischen Untersuchungen um ein Erkennen von Systemen, wie etwa dem Systemverhalten der Tiere, z.B. der Bienen oder der Ziegen, aber auch um ein Verbildlichen von Abfolgen von scheinbar Gegensätzlichem, wie Tag und Nacht, Ruhe und Unruhe, Hell und Dunkel. Ich versuche mich hier in der Vermittlung eines Prinzips der Harmonie der Gegensätze, welches auch als „soziales System“ zu bezeichnen ist. Mit den Formabstraktionen will ich Assoziationsebenen eröffnen, z.B. vom Tier an sich zum Muster oder Ornament.

Hohenbrink:
Du bist in der Nähe von Detmold auf einem Bauernhof aufgewachsen. Ich weiß, dass Dich das geprägt hat. Viele der Motive und Inhalte Deiner Bilder basieren auf Deinen Kindheits- und Jugenderlebnissen.

Sprute:
Schon als Kind habe ich sehr gerne Vorgänge in der Natur beobachtet, habe mit Pflanzen und Tieren experimentiert. Ich wäre auch gerne Biologe geworden. Meine Bilder verarbeiten die tiefgreifenden Kindheitserlebnisse in der Natur und relativieren diese mit meinen Erwachsenenerfahrungen. Dass die Natur ein in sich geschlossenes System darstellt, steht außer Frage. In meinen Bildern versuche ich ein Parallelsystem aufzubauen, das sich an diesen naturgegebenen Gesetzmäßigkeiten orientiert.

Hohenbrink:
In der Natur gibt es eine Vielzahl von Abhängigkeiten, von sich bedingendem Nutzen und Eigennutz, sog. Symbiosen, z.B. Pflanzen, deren Samen erst keimen, wenn sie von Vögeln gefressen und wieder ausgeschieden werden oder Ameisen, die Blattläuse pflegen und verteidigen, um ihre Ausscheidungen trinken zu können. Sobald der Mensch in die Natur eingreift, zerstört er in der Regel diese Art von Systemen. Welche Rolle spielt der Mensch in Deinen Bildern?

Sprute:
Der Mensch ist der Beobachter, der versucht, Kontakt zu den Prinzipien der Natur aufzunehmen. Und das mache ich selbst auch.

Hohenbrink:
Zum Schluss musst Du noch unbedingt etwas zu den Materialien sagen, die Du benutzt, und zu Deiner Malweise. Beides korrespondiert mit den Themen und Inhalten.

Sprute:
Ich benutze Farbmaterialien, die als nicht mit einander vereinbar, ja sogar zunächst als einander abstoßend gelten. So kombiniere ich Ölfarbe, die ich direkt mit der Tube auftrage, flüssige Beize, Acrylfarbe, Farb- und Grafitstifte. Diese Farbmaterialien „einigen“ sich aber nach einer gewissen Zeit, und es eröffnet sich durch diesen Prozess eine neue, gesteigerte Darstellungsebene. Es existiert also auch innerhalb der Begegnung der Materialen ein „soziales System“.

Hohenbrink:
Und Du malst auf dem Boden.

Sprute:
Das ist zum einen notwendig, weil ich mit flüssigen Materialien arbeite, zum anderen sehe ich das Bild aber auch wie einen Boden, einem Waldboden gleich, auf dem ich wandere, auf den ich auch von oben herabsehe.

Hohenbrink:
Von daher auch der Ausschnittcharakter der Bilder.

Sprute:
Ja, meine Bilder geben nur Ausschnitte wieder, sie können vom Betrachter gedanklich zu allen Seiten weitergeführt werden.

Erschienen in MOMENTE Jahrgang 6, Heft 3/2009, Seite 26/27